Absatz 1: Die Bezirksverordnetenversammlung tritt frühestens mit dem ersten Zusammentritt des Abgeordnetenhauses und spätestens sechs Wochen nach der Wahl unter dem Vorsitz der oder des ältesten Bezirksverordneten zusammen.
- Der Grundsatz der Identität der Wahlperiode des Abgeordnetenhauses und der BVV nach Art. 71 VvB (ausführlich § 5) drückt sich auch bei der gesetzlichen Festlegung des Zeitpunkts der Konstituierung aus und entspricht – insbesondere hinsichtlich der Sechswochenfrist – der Verfassungsnorm für das Landesparlament (Art. 54 Abs. 5 VvB). Die Anberaumung der ersten Sitzung der BVV in einer Wahlperiode ist von d. (bisherigen) BV-Vorst. zu besorgen (ausführlich § 7). Wegen der Fristidentität sind dabei keine eigenen Überlegungen anzustellen1Die Sechs-Wochen-Frist errechnet sich nach §§ 187ff BGB; für das Abgeordnetenhaus vgl. Driehaus in Driehaus, VvB, Art. 54 Rn. 4.. Einsprüche gegen die Wahl (nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 und 2 bis 8 VerfGHG) berühren nicht den Zeitraum, in dem die Konstituierung zu erfolgen hat2Vgl. Beschluss des VerfGH vom 1. November 2021 (132 A/21)..
- Das älteste3Der Wortlaut lässt offen, ob es sich um das lebensälteste Mitglied oder um die Person handelt, die der BVV am längstens angehört. Einer Regelung in der GO steht diese Frage offen. Vgl. dazu § 1 Absatz 2 GO-BT: „Bis der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt, führt das am längsten dem Bundestag angehörende Mitglied, das hierzu bereit ist, den Vorsitz (Alterspräsident); bei gleicher Dauer der Zugehörigkeit zum Bundestag entscheidet das höhere Lebensalter.“ Mitglied der BVV wird – wie es parlamentarischem Brauch entspricht – zusätzlich durch eine Abfrage zum Geburtsdatum zu Beginn der Sitzung bestätigt. Ihm werden nach dem gleichen Verfahren die beiden jüngsten BV zur Seite gestellt. Die Tätigkeit dieses konstituierenden Vorstands der BVV endet mit der Wahl d. (neuen) BV-Vorst. „Das Amt ist kein Daueramt mit der Aufgabe der ständigen Vertretung (im Fall der) Verhinderung, sondern endet mit dem Abschluss der Aufgaben (…). Es ist durch seine funktionelle Notwendigkeit geprägt, die Wahl (…) durchzuführen, das Amt (an d. BV-Vorst.) zu übergeben und dadurch die Arbeitsfähigkeit (der BVV) herbeizuführen.“4Urteil des VerfGH Baden-Württemberg (hinsichtlich des dortigen Landtages) vom 19. März 2021 (1 GR 93/19); vgl. auch Beschluss des Thüringer VerfGH vom 27. September 2024 (36/24). Es ist nicht zu beanstanden, wenn die `Alterspräsidentin´ oder der `Alterspräsident´ neben der Erfüllung der erforderlichen formellen Aufgaben eine Rede zur Konstituierung der BVV hält. Lehnt das älteste Mitglied ab oder ist es nicht anwesend, tritt an seine Stelle das zweitälteste Mitglied usw. Hinsichtlich der beiden jüngsten BV kann gleich verfahren werden5WPD, Gutachten zu einigen Rechtsfragen im Zusammenhang mit Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlungen in außergewöhnlichen Notlagen nach § 8a BezVG vom 30 Juni 2022 m. w. N..
Absatz 2: Die Bezirksverordnetenversammlung ist von der Bezirksverordnetenvorsteherin oder dem Bezirksverordnetenvorsteher nach Bedarf, mindestens aber in jedem zweiten Monat einzuberufen.
- Die Beurteilung, ob Bedarf für eine Sitzung vorliegt, obliegt d. BV-Vorst. Die Einberufung ist kein lediglich technischer Vorgang; d. BV-Vorst. steht allein die Kompetenz zur Festlegung des Sitzungstermins zu. Die sonstigen Voraussetzungen (nach Absatz 3) bleiben unberührt. Die Einberufung hat jedoch so rechtzeitig zu erfolgen, dass eine Sitzung spätestens am letzten Tag des jeweils zweiten Monats durchgeführt werden kann. Bleibt diese Fristregelung unbeachtet, handelt d. BV-Vorst. pflichtwidrig. Sitzungen der BVV finden daher zumindest sechs Mal im Jahr statt. Es handelt sich um eine Schutznorm für eine Minderheit, die ein Fünftel der gesetzlichen Mitgliederzahl der BVV unterschreitet. Die Vorschrift hat in der Praxis allerdings geringe Bedeutung, weil in den Bezirken – mit Ausnahme von sitzungsfreien Zeiten in Schulferien – monatlich getagt wird6In der Praxis wird in der BVV regelhaft ein Sitzungsplan für einen Jahreszeitraum bestimmt (und veröffentlicht). In der Zeit zwischen März und Mai 2020 (`erster Lockdown´ während der Corona Pandemie) wurde allerdings keine Sitzung durchgeführt (,was die bei der für Inneres zuständigen Senatsverwaltung angesiedelte Bezirksaufsicht zur Mitteilung an die Bezirke führte, es im Hinblick auf die außergewöhnliche Situation nicht zu monieren).. Die Umsetzung erfolgt regelhaft durch eine Terminplanung der Sitzungen für ein Kalenderjahr, was bereits im Hinblick auf die organisatorische Vorbereitung der genutzten Räumlichkeiten erforderlich ist7Der von der BVV genutzte Sitzungsraum wird regelmäßig auch für anderweitige Zwecke genutzt (z. B. für Veranstaltungen des BA sowie durch Vergabe an Dritte).. Regelmäßig wird in der GO-BVV bestimmt, dass die Tagesordnung „im Benehmen mit dem Ältestenrat“ festgesetzt wird. „Benehmen“ ist von seiner Bedeutung strikt von dem Begriff „Einvernehmen“ zu unterscheiden. „Einvernehmen bedeutet, dass vor einem Rechtsakt oder einer Entscheidung das Einverständnis einer anderen Stelle vorliegen oder eingeholt werden muss. Ist dagegen eine Entscheidung lediglich im Benehmen mit einer anderen Stelle zu treffen, so (ist) dieser Stelle lediglich Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (…). Die Stellungnahme muss aber wenigstens zur Kenntnis genommen und in die Überlegungen einbezogen werden.“ D. BV-Vorst. hat insoweit mit dem Gremium Kontakt aufzunehmen, Vorschläge für die Tagesordnung und die Sitzungszeit zu machen, die Vorstellungen des Ältestenrats entgegenzunehmen und bei Meinungsunterschieden den Versuch einer Einigung zu unternehmen8Vgl. Beschluss des VG Cottbus vom 16. Juni 2020 (1 L 265/20) in sinngemäßer Auslegung..
- Die Norm beinhaltet keine Ausnahme, jedoch auch keine Rechtsfolgen bei der Nichteinhaltung. Es kommen mithin lediglich bezirksaufsichtsrechtliche Maßnahmen in Betracht, die u. a. unter dem Vorbehalt eines öffentlichen Interesses zu beurteilen wären. Ein individueller Anspruch eines Mitgliedes der BVV auf Einberufung einer (außerordentlichen) Sitzung kann im Übrigen darauf nicht gestützt werden9Vgl. Beschlüsse des VG vom 4. Mai 2020 (2 L 67/20) sowie des OVG vom 5. Mai 2020 (12 S 20/20)..
Absatz 3: Die Bezirksverordnetenvorsteherin oder der Bezirksverordnetenvorsteher ist zur unverzüglichen Einberufung verpflichtet, wenn ein Fünftel der Bezirksverordneten oder das Bezirksamt es fordert.
- Die Norm beinhaltet keine Ausnahme, jedoch auch keine Rechtsfolgen bei der Nichteinhaltung. Es kommen mithin lediglich bezirksaufsichtsrechtliche Maßnahmen in Betracht, die u. a. unter dem Vorbehalt eines öffentlichen Interesses zu beurteilen wären. Ein individueller Anspruch eines Mitgliedes der BVV auf Einberufung einer (außerordentlichen) Sitzung kann im Übrigen darauf nicht gestützt werden9Vgl. Beschlüsse des VG vom 4. Mai 2020 (2 L 67/20) sowie des OVG vom 5. Mai 2020 (12 S 20/20)..
- Die Vorschrift entspricht der parlamentarischen Praxis10Vgl. § 56 Abs. 1 der GO des Abgeordnetenhauses: „Das Abgeordnetenhaus wird durch die Präsidentin oder den Präsidenten einberufen. Auf Antrag eines Fünftels seiner Mitglieder oder des Senats muss das Abgeordnetenhaus unverzüglich einberufen werden.“. Unverzüglich handelt d. BV-Vorst., wenn die Sitzung ohne schuldhaftes Zögern einberufen wird. Die Einhaltung einer Ladungsfrist kann durch Regelung in der GO ausgenommen werden. In Ausnahmefällen kann d. BV-Vorst. nach mündlicher Einrede der Einberufung die Einladung zur Sitzung auch mündlich vornehmen. Dies kommt in Betracht, wenn die Einberufung während einer Sitzung (z. B. des Ältestenrats) gefordert und eine Eilbedürftigkeit identifiziert wird. Im Regelfall wird d. BV-Vorst. einen Sitzungstermin im Benehmen mit den Fraktionen festsetzen, der den üblichen Gepflogenheiten im Bezirk (Wochentag, Uhrzeit usw.) nahe kommt. Eine Bindung an einen ggf. konkret vorgeschlagenen Sitzungstermin im Einberufungsverlangen besteht nicht.
- Es bedarf keiner Begründung für eine Einberufung nach dieser Vorschrift; die Forderung nach und die Einberufung selbst steht vielmehr in einem Ursache-Wirkungs-Verhältnis. D. BV-Vorst. hat lediglich zu prüfen, ob die Initiatoren einer Sitzung des Plenums entsprechend befugt sind. Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut ist es nicht zulässig, im Rahmen der GO weitere Hürden zur Einberufung zu errichten. Die Erweiterung des Personenkreises, der die Einberufung verlangen darf, ist jedoch zulässig (z. B. jede Fraktion, mindestens drei BV).
- Ein Fünftel der BV meint 20% der gesetzlichen Zahl (ausführlich § 5), also mindestens elf Mitglieder; es kann dahingestellt bleiben, ob diese Personen Mitglieder einer, mehrerer oder (teilweise) keiner Fraktion sind. Die Ermittlung dieses Quorums muss unzweifelhaft sein. Sie richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Bei einem Einberufungsverlangen von einzelnen BV ist eine namentliche Bezeichnung und Dokumentation dieser Mitglieder der BVV zu verlangen. Wird die Einberufung dagegen von Fraktionen (durch ihre vertretungsberechtigten Personen z. B. aus dem Fraktionsvorstand) gefordert, die elf oder mehr Mitglieder umfassen, ist das Quorum als erfüllt anzusehen11Vgl. Beschluss des BVerfG zu § 39 Abs. 3 Satz 2 GG für den BT vom 13. März 2025 (2 BvE 2/25) m. w. N..
- Der Einberufungsforderung des BA geht ein entsprechender Beschluss voraus, der d. BV-Vorst. vermittelt wird. Wie bei allen anderen Beschlüssen des BA kommt es auf das Stimmverhältnis nicht an (ausführlich § 36). Das Recht erstreckt sich auf das Organ; das entsprechende Verlangen einzelner Mitglieder wäre abzuweisen.
- Die Forderung nach der Einberufung einer (außerordentlichen) Sitzung sollte mit der Bezeichnung eines Verhandlungsgegenstands verbunden werden. Dies erschließt sich aus dem Sinn und Zweck der Norm.
Volltext als PDF: Download
- 1Die Sechs-Wochen-Frist errechnet sich nach §§ 187ff BGB; für das Abgeordnetenhaus vgl. Driehaus in Driehaus, VvB, Art. 54 Rn. 4.
- 2Vgl. Beschluss des VerfGH vom 1. November 2021 (132 A/21).
- 3Der Wortlaut lässt offen, ob es sich um das lebensälteste Mitglied oder um die Person handelt, die der BVV am längstens angehört. Einer Regelung in der GO steht diese Frage offen. Vgl. dazu § 1 Absatz 2 GO-BT: „Bis der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt, führt das am längsten dem Bundestag angehörende Mitglied, das hierzu bereit ist, den Vorsitz (Alterspräsident); bei gleicher Dauer der Zugehörigkeit zum Bundestag entscheidet das höhere Lebensalter.“
- 4Urteil des VerfGH Baden-Württemberg (hinsichtlich des dortigen Landtages) vom 19. März 2021 (1 GR 93/19); vgl. auch Beschluss des Thüringer VerfGH vom 27. September 2024 (36/24).
- 5WPD, Gutachten zu einigen Rechtsfragen im Zusammenhang mit Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlungen in außergewöhnlichen Notlagen nach § 8a BezVG vom 30 Juni 2022 m. w. N.
- 6In der Praxis wird in der BVV regelhaft ein Sitzungsplan für einen Jahreszeitraum bestimmt (und veröffentlicht). In der Zeit zwischen März und Mai 2020 (`erster Lockdown´ während der Corona Pandemie) wurde allerdings keine Sitzung durchgeführt (,was die bei der für Inneres zuständigen Senatsverwaltung angesiedelte Bezirksaufsicht zur Mitteilung an die Bezirke führte, es im Hinblick auf die außergewöhnliche Situation nicht zu monieren).
- 7Der von der BVV genutzte Sitzungsraum wird regelmäßig auch für anderweitige Zwecke genutzt (z. B. für Veranstaltungen des BA sowie durch Vergabe an Dritte).
- 8Vgl. Beschluss des VG Cottbus vom 16. Juni 2020 (1 L 265/20) in sinngemäßer Auslegung.
- 9Vgl. Beschlüsse des VG vom 4. Mai 2020 (2 L 67/20) sowie des OVG vom 5. Mai 2020 (12 S 20/20).
- 10Vgl. § 56 Abs. 1 der GO des Abgeordnetenhauses: „Das Abgeordnetenhaus wird durch die Präsidentin oder den Präsidenten einberufen. Auf Antrag eines Fünftels seiner Mitglieder oder des Senats muss das Abgeordnetenhaus unverzüglich einberufen werden.“
- 11Vgl. Beschluss des BVerfG zu § 39 Abs. 3 Satz 2 GG für den BT vom 13. März 2025 (2 BvE 2/25) m. w. N.
