§ 1 Entschädigung der Bezirksverordneten
Die Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlungen erhalten nach Maßgabe dieses Gesetzes Aufwandsentschädigung und Erstattung der Dienstreisekosten. Die Aufwandsentschädigung setzt sich zusammen aus der Grundentschädigung, den Sitzungsgeldern und der Fahrgeldentschädigung. Mitglieder des Bezirksamtes erhalten während der Übergangszeit vom Beginn der Wahlperiode der Bezirksverordnetenversammlung bis zur Wahl des Bezirksamtes keine Aufwandsentschädigung nach diesem Gesetz.
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Die Aufwandsentschädigungsleistungen für BV sind Einkünfte aus sonstiger selbstständiger Arbeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG)1, steuerfrei gemäß § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG und daher vollständig anrechnungsfrei: Die Entschädigungen werden aus der Landeskasse gezahlt (Art. 85 Abs. 2 VvB); sie sind in einem Landesgesetz festgesetzt und die Mittel werden im Bezirkshaushaltsplan (3100/411 02, Ausnahme ist der JHA: 4000/412 01) ausgewiesen. Die drei Voraussetzungen der Steuerfreiheit sind daher kumulativ erfüllt. „Die durch diese Tätigkeit veranlassten Reisekosten sind Betriebsausgaben, die aus dienstlichem Grund gewährten Erstattungen oder Vergütungen solcher Betriebsausgaben (Dienstreisekostenerstattung) sind (...) Betriebseinnahmen“2, die nach § 3 Nr. 13 Satz 1 EStG im Regelfall wiederum nicht der Besteuerung unterliegen. In der öffentlichen Diskussion wird im Hinblick auf die zeitliche Belastung in der ehrenamtlichen Kommunalpolitik, in Kommunalvertretungen von großen Städten 30 bis 50 Wochenstunden, mitunter der alimentierenden Entschädigung von „Vollzeit-Gemeinderäten“3 das Wort geredet. In quantitativer Hinsicht könnte diese Beurteilung auf die Berliner Bezirke durchaus erstreckt werden. Dann müsste die Steuerfreiheit jedoch auf den Prüfstand...4
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Die BV als Bezieher der Aufwandsentschädigung sind in der gesetzlichen Sozialversicherung nach § 7 Abs. 1 SGB IV grundsätzlich beitragsfrei5.
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Die Berücksichtigung als Einkommen beim Arbeitslosengeld erfolgt im Rahmen der Anrechnung von Nebeneinkommen, richtet sich nach § 155 SGB III und den dazu von der Bundesagentur für Arbeit erlassenen VwV6. Da am Einkommensteuerrecht angeknüpft wird, ist die Aufwandsentschädigung anrechnungsfrei. Eine vollständige Freistellung der Aufwandsentschädigung auf die Grundsicherung für Arbeitssuchende ist dagegen nicht gegeben: Fahr- und Sitzungsgeld sind nicht anzurechnen (§§ 11b Abs. 2 Satz 4, 11a Abs. 3 SGB II). Nach § 11b Abs. 3 SGB II hat der Bundesgesetzgeber auf die Grundentschädigung jedoch nur Freibeträge eingeräumt7.
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Sozialhilferechtlich bleibt nach § 82 Abs. 3 Satz 4 SGB XII8 ein Freibetrag von 175 Euro im Monat anrechnungsfrei; ausbildungsförderungsrechtlich handelt es sich bei der Aufwandsentschädigung um eine anrechnungsfreie zweckbestimmte Leistung bzw. § 21 Abs. 4 Nr. 4 BAföG; wohngeldrechtlich ist sie nach Abzug einer Betriebskostenpauschale von rd. 250 Euro oder höher bei Nachweis im Einzelfall dagegen voll anzurechnen (§§ 10 ff. WoGG).
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Die unterhaltsrechtliche Beurteilung ist einzelfallbezogen. Dabei ist stets zu unterscheiden, ob es um Verwandten- oder Ehegattenunterhalt, Unterhalt für minder- oder volljährige Kinder sowie um Bedarfsbemessung oder Feststellung der Bedürftigkeit/Leistungsfähigkeit geht. Die Aufwandsentschädigung ist grundsätzlich Einkommen, nach § 850a Nr. 3 ZPO jedoch unpfändbar, soweit es den Rahmen des Üblichen nicht übersteigt. Die Pfändungsfreigrenze für Arbeitseinkommen umfasst 930 Euro monatlich (§ 850c Abs. 1 ZPO)9; etwa ein Drittel der Aufwandsentschädigung ist als Einkommen zu berücksichtigen 10.
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Im Hinblick auf den verfassungs- und bezirksverwaltungsrechtlichen Status der BVV (ausführlich § 2) ist den Mitgliedern ein „Dienstort“ zugewiesen; die Wahrnehmung von „Dienstgeschäften“ außerhalb dieses ordentlichen Wirkungskreises stellt eine Dienstreise dar, deren Kosten aus öffentlichen Mitteln erstattungsfähig sind (ausführlich § 5).
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Mitglieder des BA werden im Hinblick auf ihre kommunalpolitisch herausgehobene Stellung häufig auf die ersten Plätze eines Bezirkswahlvorschlages gesetzt11 und sind bis zur Bildung des neuen Kollegialorgans (ausführlich § 34 BezVG) auch BV12. Ihr beamtenrechtlicher Status nach § 1 Abs. 1 Satz 2 BAMG verursacht insoweit ausnahmsweise keine Inkompatibilität mit dem Mandat13. Es wäre jedoch nicht gerechtfertigt, die Besoldung um eine Entschädigung als BV aufzustocken, weil ein diesbezüglicher „Aufwand“ nicht entsteht. Satz 3 schließt insoweit eine „Doppelleistung“ aus. Die Abrechnung der entsprechenden Haushaltsmittel kann daher in der Zeit zwischen der Konstituierung der BVV (ausführlich § 6 BezVG) und der Ernennung der Mitglieder des BA Zahlungen für weniger als 55 BV umfassen. Die (regelmäßige) Mitgliedschaft einer oder eines in die BVV gewählten politischen Wahlbeamtin oder Wahlbeamten in einer Fraktion (ausführlich § 5 BezVG) wie auch die Höhe des Fraktionszuschusses (ausführlich § 8a) bleiben davon unberührt.
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Beschluss des BFH vom 5. August 1996 (IX B 187/95). ↩
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Urteil des BFH vom 8. Oktober 2008 (VIII R 58/06). ↩
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Dolderer, Christine, Wie viel Parlament ist der Gemeinderat?, DÖV 2009, S. 146 m. w. N.; Deutscher Kommunal-Informationsdienst, Newsletter vom 16. April 2015, zum Gemeinderat Stuttgart. ↩
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Mit Urteil des Hessischen FG vom 24. Juni 2013 (3 K 2837/11) wurde die Klage eines Gemeinderatsmitglieds, zugleich dessen Vorsitzender, auf steuerfreie Aufwandsentschädigung über einen Betrag (im streitgegenständlichen Zeitraum) von jährlich 2.100 Euro (Einnahmen aus nebenberuflichen Tätigkeiten nach § 3 Nr. 26 EStG) hinaus abgewiesen. Die angefochtene Grundlage, ein Erlass des Hessischen Landesfinanzministeriums, sei ermessensfehlerfrei ausgelegt worden. Sie entspreche einer mit dem Bund sowie den Steuerverwaltungen der Länder abgestimmten Sichtweise; auch: NVwZ-RR 24/2013, S. 1013). Diese Entscheidung bezieht sich jedoch auf § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG. Es könnte die steuer-, aber auch die verfassungsrechtliche Frage aufgeworfen werden, warum BV allein auf Grund des Status der Gebietskörperschaft (Stadtstaat) erheblich besser gestellt werden als Mitglieder einer kommunalen Vertretung. ↩
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Vgl. Urteil des BSG vom 16. August 2017 (B 12 KR 14/16 R). ↩
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Nicht anrechnungsfähiges Einkommen sind nach den Dienstanweisungen zu § 155 SGB III (Stand: 04/2012) u. a. Aufwandsentschädigungen mit folgenden Maßgaben:
a) Entschädigungen ehrenamtlicher Mitglieder kommunaler Vertretungsorgane, auch hinsichtlich ihres steuerpflichtigen Teils (diese gelten wegen des besonderen Charakters dieser Tätigkeit nicht als Einnahmen aus der Verwertung der Arbeitskraft),
b) Aufwandsentschädigungen im Sinne von § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG (bestimmte Bezüge aus öffentlichen Kassen, die als Aufwandsentschädigungen festgesetzt sind und im Haushaltsplan ausgewiesen werden), unabhängig davon, ob im Einzelfall ein steuerlich abzugsfähiger Aufwand in entsprechender Höhe gegeben ist,
c) Aufwandsentschädigungen im Sinne des § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG nur, soweit sie steuerfrei sind. Danach sind beispielsweise Aufwandsentschädigungen für ehrenamtlich tätige Personen in Höhe von 33 1/3 v. H. der gewährten Beträge (mindestens aber in Höhe von 175,- Euro monatlich) steuerfrei,
d) (...). ↩ -
Nach § 11b Abs. 2 Satz 3 SGB II umfasst der Freibetrag 200 Euro, da die Grundentschädigung monatlich zufließt; hinzu tritt nach Absatz 3 der Regelung eine weitere Einkommensfreistellung in Höhe von 20 v. H. für den Anteil, der 100 Euro übersteigt und nicht mehr als 1.000 Euro beträgt. Beim Zusammentreffen von Einkünften aus Erwerbstätigkeit und aus steuerprivilegierter (ehrenamtlicher) Tätigkeit sind nach dem Urteil des BSG vom 28. Oktober 2014 (B 14 AS 61/13 R) Absetzbeträge für jede Tätigkeit gesondert anzusetzen und können nebeneinander Anwendung finden (jurisPR-SozR 25/2015, Anmerkung 2). Beispiel:
Bei einer Grundentschädigung von 520 Euro (Sitzungs- und Fahrgeld bleiben anrechnungsfrei) werden Freibeträge von a) 200 Euro und b) 520 Euro ./. 100 Euro = 420 Euro, davon 20% = 84 Euro gewährt. Das anrechnungsfreie Einkommen beträgt 236 Euro. Zum Grundsatz der Anrechnung im Übrigen: Urteil des BSG vom 12. September 2018 (B 14 AS 36/17 R), NJ 2019, S. 126 sowie NZS 2019, S. 276.Änderung vom 30.09.2020[/mark] ↩ -
Vgl. auch Nr. 19 Abs. 6 der Gemeinsamen Arbeitsanweisung der Berliner Bezirksämter - Sozialämter - über den Einsatz von Einkommen nach dem SGB XII (AA-ESH). ↩
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Soweit ein BV weiteren Personen zu Unterhalt verpflichtet ist, erhöht sich das unpfändbare Einkommen (gestaffelt) entsprechend. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass Mitglieder der BVV mit einer erhöhten Aufwandsentschädigung nach § 6 in Anspruch genommen werden; vgl. auch: Beschluss des LG Dessau-Roßlau vom 17. Juli 2012 (1 T 161/12). Der BV-Vorsteher ist (als Drittschuldner) dem Gläubiger eines BV (Schuldner) ohne Ausnahme nach § 840 Abs. 1 ZPO erklärungspflichtig; liegt ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vor, ist mitzuteilen,
- ob und inwieweit er die Forderung als begründet anerkenne und Zahlung zu leisten bereit sei;
- ob und welche Ansprüche andere Personen an die Forderung machen;
- ob und wegen welcher Ansprüche die Forderung bereits für andere Gläubiger gepfändet sei.
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Vgl. 1.4 der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate beim Kammergericht Berlin, SenJustVA (Stand: 1. Januar 2023).Änderung vom 30.09.2023 ↩
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Parteien und Wählergemeinschaften sind bemüht, ihre (zumindest namentlich bekannten) „Spitzenkandidaten“ auf dem Stimmzettel zu platzieren, der nach § 49 Abs. 4 Landeswahlordnung die ersten drei Bewerber/Innen umfasst und insoweit mit „Prominenten“ noch in der Wahlkabine werbend wirkt. ↩
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Wird ein Mitglied des (bisherigen) BA nicht erneut in das Kollegialorgan gewählt, endet die Übergangszeit mit der Ernennung der (neuen) Wahlbeamten bzw. dem Wirkungsdatum der Entlassungsurkunde. Zu diesem Zeitpunkt setzt der Anspruch auf Aufwandsentschädigung (wie für nachgerückte Mitglieder der BVV) ein; in der Praxis tritt allerdings häufig der Fall ein, dass ein solches Mitglied des BA die Nichtannahme des Mandats nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Landeswahlgesetz erklärt. ↩
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Vgl. § 26 Abs. 4 Satz 2 Landeswahlgesetz. ↩