§ 2 Allgemeine Rechtsstellung und Organe der Bezirke

Absatz 1: Die Bezirke sind Selbstverwaltungseinheiten Berlins ohne Rechtspersönlichkeit.

  1. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht auf kommunale Selbstverwaltung. Es umfasst nicht nur die Art und Weise der Erledigung, sondern ebenso die gemeindliche Zuständigkeit für diese Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Zu ihrem Wesensgehalt gehört kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog, wohl aber die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltungen übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält auch außerhalb des Kernbereichs der Garantie ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zugunsten der Gemeinden, das der Gesetzgeber bei der Entscheidung über Zuständigkeiten zu berücksichtigen hat. Er darf danach eine Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter nur aus Gründen des Gemeininteresses, vor allem also etwa dann entziehen, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre, und wenn die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG überwiegen. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also der Gemeindeeinwohnerschaft gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und Wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen1.

  2. Bereits der Wortlaut verdeutlicht, dass dieses staatsrechtliche Gewährleistungsrecht für die Berliner Bezirke nicht unmittelbar gelten kann, weil von Gemeinden und Gemeindeverbänden, nicht von Gliederungen unterhalb der Ebene einer Kommune die Rede ist. Dabei handelt es sich gerade nicht. Berlin ist als kreisfreie Stadt vielmehr insgesamt Gemeinde und zugleich Bundesland der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Art. 1 Abs. 1 VvB); Volksvertretung, Regierung und Verwaltung einschließlich der Bezirksverwaltungen nehmen diese Aufgaben Berlins wahr (vgl. Art. 3 Abs. 2 VvB). Die Bezirke sind daher Teil der staatsunmittelbaren Verwaltungsuntergliederung und keine unterstaatlichen Gebietskörperschaften; Träger der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie ist Berlin als Ganzes, nicht etwa ihre Untergliederungen2. Die Bezirke sind keine selbstständigen Gemeinden, der Grundsatz der Einheitsgemeinde schließt dies aus3. Eine wehrfähige, der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie vergleichbare subjektive Rechtsposition steht den Bezirken nicht zu4. Die Bezirksverwaltungen sind vielmehr in der Durchführung ihrer Aufgaben nach § 7 Abs. 1 AZG an Rechts- und VwV5 gebunden; erfüllen diese zwar nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung (Art. 66 Abs. 2 VvB), unterliegen jedoch neben der allgemeinen Bezirksaufsicht (§ 9 AZG), also Rechtsaufsicht, im Einzelfall weiteren fachrechtlichen Eingriffen der Hauptverwaltung (§ 10 ff AZG).

  3. Allerdings „sind die Grundsätze der politischen Selbstverwaltung (weitgehend) verwirklicht (Wahl einer Bürgervertretung, mittelbare Wahl der BA-Mitglieder als politische Wahlbeamte, umfangreiche ehrenamtliche Mitarbeit der Bürger). Die Selbstverwaltung (...) ist durch die weisungsfreie Wahrnehmung zahlreicher (...) Angelegenheiten - nur unter Rechtsaufsicht - gegeben.“6 Im kommunalpolitischen Alltag herrscht ein wiederkehrendes Spannungsfeld zwischen Norm und Wirklichkeit.

  4. Die Bezirke sind unstreitig keine juristischen Personen (Anstalten, Stiftungen, Körperschaften), eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage gegen den Verwaltungsakt eines Verwaltungsbezirks richtet sich z. B. regelmäßig gegen das Land Berlin, vertreten durch das jeweilige BA. Es mangelt in dieser Hinsicht an der Passivlegitimation.

Absatz 2: Organe der Bezirke sind die Bezirksverordnetenversammlungen und die Bezirksämter.

  1. Die Nennung von BVV und BA verdeutlicht, dass beide Institutionen Träger der bezirklichen Selbstverwaltung sind. Andere Organe des Bezirks bestehen in dieser Hinsicht nicht. Es handelt sich um eine Aufzählung, die den Charakter zueinander (vgl. Art. 69 VvB) nicht wiedergibt, sondern lediglich klarstellt, dass daneben keine anderen Organe im Bezirk mit dieser Funktion bestehen. Auf die Aufgabenbeschreibung der BVV (ausführlich § 12) und des BA (ausführlich § 36) wird im Übrigen verwiesen.

Absatz 3: aufgehoben7


  1. Beschluss (Leitsatz) des BVerfG (2 BvR 1619/83, 1628/83) vom 23. November 1988 (BVerfGE 79, 127); vgl. auch: Beschluss des BVerfG vom 19. November 2014 (2 BvL 2/13); zum 30. Juni 2016 verfügte die Bundesrepublik über etwas mehr als 11.000 Gemeinden. 1900 existierten auf demselben Staatsgebiet knapp 45.500 (Uli Schubert, Gemeinden in Deutschland, www.gemeindeverzeichnis.de). 

  2. Musil/Kirchner, Rz 34, Siegel/Waldhoff, § 1 Rz 275, Zivier, Rz. 88.1. 

  3. Vgl. Urteil des VerfGH vom 19. Oktober 1992 (36/92). In einem Sondervotum wurde jedoch eine abweichende Meinung deutlich: Art. 1 Abs. 1 VvB „steht (…) der Annahme einer diesen Grundsatz der Einheitsgemeinde respektierenden und damit relativierenden subjektiven Rechtsposition der Bezirke nicht entgegen. (…) Das Prinzip der Einheitsgemeinde erfordert keineswegs ein vollständiges, sondern nur ein "verhältnismäßiges" Zurücktreten der bezirklichen Eigenständigkeit.“ 

  4. Musil/Kirchner, Rz 36, Driehaus in Driehaus, VvB, Art. 3 Rn. 9Änderung vom 30.09.2020

  5. Unter dem Begriff „Verwaltungsvorschriften“ versteht man solche Regelungen, die innerhalb der Verwaltungsorganisation von übergeordneten Verwaltungen oder Vorgesetzten an nachgeordnete Verwaltungen oder Dienstkräfte ergehen und die dazu dienen, Organisation und Handeln der Verwaltung (z. B. Gesetzesvollzug, Ermessensausübung, Verwaltungsverfahren) näher zu bestimmen. Im Gegensatz zu Gesetzen und Rechtsverordnungen sind VwV keine Rechtsnormen, sie richten sich nur an Behörden und Dienstkräfte. Abgesehen von den Fällen, in denen sich in Gesetzen ausdrückliche Ermächtigungen zum Erlass von VwV finden, bedürfen sie wegen ihres nur internen Charakters üblicherweise keiner gesetzlichen Ermächtigung. Das Recht der Verwaltung, VwV zu erlassen, folgt aus der allgemeinen Hoheitsgewalt, die der öffentlichen Verwaltung eigen ist. VwV sind für die angesprochenen Behörden und Dienstkräfte verbindlich. 

  6. Srocke, Anmerkung zu § 2 Abs. 1. 

  7. Bis Herbst 2007 normierte das Gesetz, dass die Bezirke bei besonderen Anlässen neben dem Landeswappen die ihnen vom Senat verliehenen Bezirkswappen führen (dürfen) und konkretisierte insoweit Art. 5 VvB: Berlin führt Flagge, Wappen und Siegel mit dem Bären, die Flagge mit den Farben Weiß-Rot. Im Rahmen der Neufassung der hoheitszeichenrechtlichen Vorschriften wurde diese „zu vermeidende Doppelregelung“ (Einzelbegründung zu § 7 der Vorlage - zur Beschlussfassung - über das Gesetz über die Hoheitszeichen des Landes Berlin vom 24. August 2007, 16/0778) aufgehoben. Auf Grund des § 6 Abs. 2 des Gesetzes über die Hoheitszeichen des Landes Berlin vom 13. Mai 1954 (GVBl. S. 289) in Verbindung mit dem Gesetz über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 28. September 1990 (GVBl. S. 2119) hatte SenInn eine AV vom 17. April 2003 (ABl. S. 1902) erlassen, die nähere Einzelheiten beinhaltete (vgl. nunmehr Ausführungsvorschriften zum Gesetz über die Hoheitszeichen des Landes Berlin vom 12. Dezember 2007, ABl. S. 3393). Folgende Bezirkswappen wurden verliehen:

    • Reinickendorf (Beschluss Nr. 1242/55 vom 28. November 1955, Bekanntmachung vom 14. September 1957, ABl. S. 1066)
    • Neukölln (Beschluss vom 12. April 1956, Bekanntmachung vom 14. September 1957, ABl. S. 1066)
    • Spandau (Beschluss vom 4. Februar 1957, Bekanntmachung vom 14. September 1957, ABl. S. 1066)
    • Charlottenburg-Wilmersdorf (Beschluss Nr. 266/01 vom 4. September 2001, ABl. S. 5001)
    • Mitte (Beschluss Nr. 370/01 vom 9. Oktober 2001, ABl. S. 5001)
    • Steglitz-Zehlendorf (Beschluss Nr. 1015/03 vom 25. März 2003, ABl. S. 1793)
    • Tempelhof-Schöneberg (Beschluss Nr. 1015/03 vom 25. März 2003, ABl. S. 1793)
    • Friedrichshain-Kreuzberg (Beschluss Nr. 1486/03 vom 7. Oktober 2003, ABl. S. 4621)
    • Marzahn-Hellersdorf (Beschluss Nr. 1486/03 vom 7. Oktober 2003, ABl. S. 4621)
    • Treptow-Köpenick (Beschluss Nr. 2124/02 vom 21. September 2004 (ABl. S. 4109)
    • Lichtenberg (Beschluss Nr. 3380/06 vom 28. Februar 2006, ABl. S. 1121)
    • Pankow (Beschluss Nr. S-2250/09 vom 28. Juli 2009, Bekanntmachung vom 12. August 2009, ABl. S. 2125).

Ottenberg/Wolf | Praxiskommentar | (30.09.2020)