§ 32 Ausschuss für Partizipation und Integration

Absatz 1: Der Ausschuss für Partizipation und Integration ist zuständig für Angelegenheiten, die nicht nur unerhebliche Auswirkungen auf die Partizipation, Integration und gleichberechtigte Teilhabe der Personen mit Migrationsgeschichte im Sinne des § 3 Absatz 1 des Partizipationsgesetzes vom 5. Juli 2021 (GVBl. S. 842) haben. Vor einer Beschlussfassung in der Bezirksverordnetenversammlung über Angelegenheiten nach Satz 1 soll er angehört werden. Das Nähere regelt die Bezirksverordnetenversammlung in ihrer Geschäftsordnung.

  1. Die Norm steht unsystematisch im 3. Abschnitt, obwohl sie dazu keine Regelungen trifft1. Als spezielle Vorschrift ist ihr der rechtliche Vorrang gegenüber den allgemeinen Regelungen über die Bildung von Ausschüssen (ausführlich § 9) und die Wahl von BD (ausführlich §§ 20, 21) einzuräumen.

  2. Die BVV hat einen Ausschuss für Partizipation und Integration zu bilden2 (ausführlich § 9). 34 Ihr Selbstorganisationsrecht wird insoweit vom Gesetzgeber beschränkt. Unter Beachtung der wahlrechtlichen Differenzierung der Gesamtheit des durch die Norm berührten Personenkreises5 ist die zwingende Bildung des Ausschusses jedoch zu rechtfertigen.

  3. Die Zuständigkeit des Ausschusses erstreckt sich nach Satz 1 auf Angelegenheiten, die einen messbaren Einfluss auf Menschen mit Migrationsgeschichte6 entfalten. In diesem Zusammenhang steht die Auslegungshoheit des unbestimmten Rechtsbegriffs diesem Gremium zu. Es ist jedoch keine Fallgestaltung erkennbar, in der eine Zuständigkeit zur Erörterung oder Beschlussfassung unter Verweis auf diese Inhaltsbestimmung erfolgreich verneint werden dürfte. Zumindest eine indirekte (mittelbare) Berührung des genannten Personenkreises liegt vielmehr bereits dann vor, wenn eine Materie Eingang in die Tagesordnung einer Sitzung findet und erörtert wird.

3a. Im Hinblick auf die normativ definierte Aufgabenstellung sowie die besondere Zusammensetzung ist es der BVV verwehrt, dem Ausschuss für Partizipation und Integration formell weitere Zuständigkeiten zuzuschreiben. Davon unberührt bleibt die vom Gesetzgeber beabsichtigte weite Fassung integrationspolitischer Materien7.

  1. Satz 2 schreibt vor, dass der Ausschuss vor einer Beschlussfassung der BVV in Angelegenheiten des Satzes 1 gehört werden soll. Im Hinblick auf das weite Befassungsrecht ist von einer entsprechend umfangreichen Vorabbeteiligung auszugehen. Liegt kein Regelfall vor, darf die BVV auf eine Anhörung verzichten. Die Ausgestaltung des Anhörungsrechts entspricht dem des JHA (ausführlich Vor § 33). In der Vollzugspraxis wird es dadurch gewährleistet, dass Anträge, Beschlussvorschläge (ausführlich § 13) und insbesondere Vorlagen zur Entscheidung (ausführlich § 12), deren Materien einen Fall des Satzes 1 berühren, vor einer abschließenden Behandlung in einer Plenumssitzung in den Ausschuss zu überweisen sind. Dabei ist zulässig, dem Ausschuss eine Beratungsfrist vorzugeben, um zeitlichen Verzug zu vermeiden. Das Anhörungsrecht wird sodann durch eine Beschlussempfehlung an die BVV (bzw. den federführenden Ausschuss) wahrgenommen8.

  2. Für die Einhaltung des Anhörungsrechts trägt d. BV-Vorst. (u. a. im Ältestenrat) eine besondere Verantwortung. Wird es verletzt, müsste das BA einen solchen Beschluss der BVV beanstanden (ausführlich § 18). Darüber hinaus besteht für den Ausschuss eine verwaltungsgerichtliche Rechtschutzoption. Diese Rügefähigkeit setzt voraus, dass der Ausschuss die Verletzung seines Rechts durch Beschluss feststellt.

  3. Satz 3 eröffnet die Möglichkeit, weitere Einzelheiten für den Ausschuss in der GO zu kodifizieren. Die Norm ist nicht erforderlich, weil die BVV ohnehin ermächtigt ist, solche bezirklichen Verfahrensregelungen festzulegen (ausführlich § 8). Ein besonderer Auftrag des Gesetzgebers zur differenzierten Ausgestaltung ist darüber hinaus gleichfalls nicht erkennbar. Die Vorschrift bietet dem Ausschuss im Übrigen keine Grundlage, selbst eine GO zu verabschieden (ausführlich § 9).

Absatz 2: Dem Ausschuss für Partizipation und Integration gehören als Mitglieder an:
1. neun Bezirksverordnete und
2. sechs Bürgerdeputierte (§ 20).
Die Mehrheit der Bürgerdeputierten soll aus Personen mit Migrationsgeschichte bestehen. Die Bürgerdeputierten des Ausschusses für Partizipation und Integration werden auf Vorschlag der Vereine, die in die von der für Integration zuständigen Senatsverwaltung zu führenden Liste eingetragen sind, von der Bezirksverordnetenversammlung gewählt.

  1. Die Größe des Ausschusses ist nach Satz 1 gesetzlich festgelegt, was eine weitere wesentliche Beschränkung der Entscheidungsoptionen der BVV bei der Bildung von Ausschüssen darstellt. Sie entspricht der des JHA. Eine für diesen bestehende Ausnahme zum Teilnahmerecht fraktionsloser BV im Ausschuss ihrer Wahl (ausführlich § 9) ist hingegen vom Gesetzgeber nicht vorgesehen.

  2. Im Regelfall hat die Mehrheit, mithin zumindest vier der sechs Bürgerdeputierten, nach Satz 2 aus Personen mit Migrationsgeschichte bestehen (ausführlich Rdnr. 3). Der Kanon der persönlichen Voraussetzungen für das Amt eines BD (ausführlich § 22) wird insoweit spezialrechtlich erweitert. Die verpflichtende Norm richtet sich an das Wahlorgan, da sie lediglich in der Summe der insgesamt eingereichten Wahlvorschläge eingehalten werden kann. Ob der BVV dadurch ein materielles Prüfungsrecht, ggf. sogar eine Prüfungsverpflichtung, zugewiesen wird, ist jedoch mit erheblichen Zweifeln verbunden, weil sich die in § 3 Absatz 1 PartMigG aufgezählten Merkmale im Wesentlichen einer objektiven Betrachtung entziehen. Insoweit ist vom Erklärungsprinzip auszugehen. Darüber hinaus wirft diese Regelung grundsätzliche Umsetzungsprobleme auf9, deren Auflösung entsprechender Regelungen (durch gesonderten Beschluss oder in der GO) bedürfen. Dazu zählt u. a. die Festlegung getrennter Wahlgänge, wenn durch Wahlvorschläge Personen vorgeschlagen werden, die die Voraussetzungen von § 3 Absatz 1 PartMigG nicht erfüllen. Eine Konstituierung des Ausschusses für Partizipation und Integration vor dem Abschluss der vollständigen Wahl seiner BD würde einer rechtlichen Überprüfung regelmäßig nicht Stand halten.

  3. Die Kriterien der Aufnahme in die in Satz 3 genannte Liste, „auf der sich Vereine der Menschen mit Migrationsgeschichte eintragen lassen können“10, wird durch VO11 ausgestaltet.

  4. Die Verfahren zur Ausübung des Wahlvorschlagsrechts und zur Umsetzung mittels Wahl von BD und stellvertretenden BD in der BVV sind den Bezirken nicht vorgegeben. Aus der gesetzlichen Regelung ist zumindest herzuleiten, dass alle in die Liste aufgenommenen Organisationen in die Lage zu versetzen sind, ihr potenzielles Wahlvorschlagsrecht auszuüben. In diesem Zusammenhang ist z. B. an einen öffentlichen Wahlaufruf oder an die Werbung um Kandidaturen durch schriftliche Aufforderung an alle auf der genannten Liste stehende Organisationen zu denken. Der BVV sind darüber hinaus alle eingereichten Wahlvorschläge vorzulegen, um einen demokratischen Auswahlprozess zu gewährleisten. Zudem gelten weitere allgemeine bezirksverwaltungsrechtlichen Vorschriften sinngemäß: Die Vorschläge der Organisationen sollen mindestens zwei Bewerberinnen und Bewerber enthalten; Stellvertreterinnen und Stellvertreter der gewählten Bürgerdeputierten sind die auf demselben Wahlvorschlag an nächster Stelle stehenden Personen. Scheidet eine Bürgerdeputierte oder ein Bürgerdeputierter aus, so tritt an ihre oder seine Stelle die nächste Stellvertreterin oder der nächste Stellvertreter (ausführlich § 21).

  5. Die weiteren erforderlichen Konkretisierungen einer ordnungsgemäßen Bildung des Ausschusses sind von den Bezirken selbstständig festzulegen. Dabei ist zu beachten, dass verschiedene Verfahrensfestlegungen zulässig sind. Aus der Vollzugspraxis der Bildung des JHA resultieren Parameter, die sinngemäß zur Anwendung gebracht werden könnten. Sie lassen sich aus den Normen herleiten, sind jedoch keinesfalls zwingend (Anlage).


  1. Durch Art. I Nr. 9 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze vom 24. Juni 1971 (GVBl. S. 1056) wurde die Überschrift des 3. Abschnitts geändert („Die Bürgerdeputierten“), die nunmehr für die §§ 20 bis 33 gilt. 

  2. Vgl. Einzelbegründung zu § 32 der Vorlage - zur Beschlussfassung - über das Gesetz zur Neuregelung der Partizipation im Land Berlin vom 27. April 2021 (18/3631): „Die Bezeichnung (…) wird (…) geändert und entspricht damit der neuen gesetzlichen Terminologie des PartMigG.“ 

  3. Nicht belegt. 

  4. Nicht belegt. 

  5. Ein Vergleich mit dem JHA, der als kommunaler Interessenwalter von (gleichfalls nicht wahlberechtigten) Kindern und Jugendlichen fungiert, ist bedingt zulässig. „Nach der Rechtsprechung des BVerfG (Urteil vom 31. Oktober 1990 [2 BvE 3/89] zum Wahlrecht zu den Bezirksversammlungen der Freien und Hansestadt Hamburg) verletzt die Einbeziehung von Ausländerinnen und Ausländern in den Kreis der zu den Bezirksverordnetenversammlungen Wahlberechtigten das gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch für die Länder verbindliche Prinzip des Art. 20 Abs. 2 GG.“ (Stellungnahme des Senats vom 29. März 2011 zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über das Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin [Wahlrecht für Drittstaatsangehörige zu Bezirksverordnetenversammlungen] vom 9. Februar 2011 (17/3860). 

  6. Vgl. die Begriffsbestimmung von § 3 Absatz 1 PartMigG: „Als Personen mit Migrationsgeschichte gelten Personen mit Migrationshintergrund, Personen, die rassistisch diskriminiert werden und Personen, denen ein Migrationshintergrund allgemein zugeschrieben wird. Diese Zuschreibung kann insbesondere an phänotypische Merkmale, Sprache, Namen, Herkunft, Nationalität und Religion anknüpfen.“ 

  7. Anhörungsrecht ist kein Vetorecht; die BVV darf sich über ein Votum des Ausschusses hinwegsetzen. 

  8. Vgl. Rechtliche Hinweise, Auslegung im Hinblick auf Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten (BVV Mitte) und Schreiben von Sen InnSport (I A 22-0212/4012) vom 2. Dezember 2016 an alle BVV und Rechtsämter. 

  9. Sofern lediglich sechs Wahlvorschläge eingereicht werden, davon drei oder weniger Personen mit Voraussetzungen nach § 3 Absatz 1 PartMigG, stellt sich die Frage, ob eine Wahl zumindest in Teilen durchgeführt werden dürfte oder ob sich ein neues Wahlvorschlagsverfahren anzuschließen hätte. Außerdem könnte die Frage aufgeworfen werden, ob und wie sich diese Anforderung auf stellvertretende BD erstreckt. 

  10. § 17 Absatz 7 PartMigG. 

  11. Die auf Grund des § 6 Absatz 4 Satz 2 PartIntG erlassene Regelung wurde zwar nicht förmlich aufgehoben, ist jedoch mit dem Wegfall ihrer Ermächtigungsgrundlage nach Artikel 13 Absatz 1 des Gesetzes zur Neuregelung der Partizipation im Land Berlin vom 5. Juli 2021 (GVBl. S. 842) zugleich außer Kraft gesetzt. Beachtlich ist nunmehr auf der Ermächtigungsgrundlage von § 17 Absatz 7 Satz 2 PartIntG der § 4 Absatz 1 der Verordnung über die Wahl zum Landesbeirat für Partizipation vom 15. Dezember 2022 (GVBl. S. 738):
    „In die nach § 17 Absatz 7 Satz 1 des Partizipationsgesetzes geführte öffentliche Liste der Vereine der Menschen mit Migrationsgeschichte (öffentliche Liste) werden auf Antrag Vereine aufgenommen, die

    1. ihren Sitz in Berlin haben,
    2. landes- oder bezirkspolitisch ausgerichtet sind, Projekte in Berlin umsetzen oder in Berliner Gremien engagiert sind,
    3. einen Vorstand haben, der mehrheitlich aus Menschen mit Migrationsgeschichte gemäß § 3 Absatz 1 des Partizipationsgesetzes besteht und bei deren internen Strukturen und Prozessen sowie bei der Repräsentation nach außen Menschen mit Migrations­geschichte eine beachtliche Rolle spielen,
    4. gemäß ihrer Satzung migrationsgesellschaftliche und partizipationspolitische Ziele im Sinne der Förderung der Gleichstellung und der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte verfolgen und
    5. ein erkennbares Selbstverständnis als Selbstvertretung haben, wie eine öffentlich wahrnehmbare Selbstbeschreibung, einen gemeinschaftsbasierten Ansatz zur Selbstwirksamkeit oder Ziele und Aktivitäten, für die eigene Migrationserfahrung oder Erfahrungswissen durch Migrationsgeschichte der Mitglieder zentral ist.“ Nach Absatz 4 der Regelung besteht eine Übergangsvorschrift f ür die bisher eingetragenen Organisationen.Änderung vom 30.09.2023

Ottenberg/Wolf | Praxiskommentar | (30.09.2023)