§ 40 Mitwirkung der Einwohnerschaft

Die Mitwirkung der Einwohnerinnen und Einwohner ist ein Prinzip der Selbstverwaltung der Bezirke. Die Bezirksverordnetenversammlung und das Bezirksamt fördern die Mitwirkung der Einwohnerschaft an der Wahrnehmung der bezirklichen Aufgaben.

  1. Aus dem Programmsatz des Satzes 1 leitet sich kein unmittelbarer (individueller) Rechtsanspruch ab. Er ergänzt vielmehr die bezirkliche Selbstverwaltung lediglich um einen weiteren Grundsatz. Dabei wird ein verfassungsrechtlich unscharfer Begriff konzipiert; nach Art. 66 Abs. 2 Satz 1 VvB haben die Bezirke ihre Aufgaben nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung zu erfüllen. Träger der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 GG ist das Land, die Bezirke sind dagegen Selbstverwaltungseinheiten ohne Rechtspersönlichkeit (ausführlich § 2). Dieses Organisationsprinzip der Berliner Verwaltung1 wird insoweit lediglich um den Aspekt der Partizipation ergänzt.

  2. Die Vorschrift verwendet den Begriff „Einwohnerin/Einwohner“, ohne ihn zu definieren. Nach Sinn und Zweck dürfte er wohl nicht lediglich an den wahlberechtigten Personen (ausführlich § 5) anknüpfen, sondern erweitert ihn auf alle weiblichen und männlichen Personen (unabhängig von Lebensalter und Staatsangehörigkeit), die im Bezirksgebiet (ausführlich § 1) ihren Wohnsitz haben oder sich dort zumindest tatsächlich überwiegend aufhalten. Der Begriff ist insoweit problematisch: Die Zuständigkeit der Verwaltung (und damit der BVV) umfasst ggf. auch Einwohnerinnen und Einwohner anderer Bezirke, selbst Personen mit Wohnsitz außerhalb des Landes, die jedoch im Hinblick auf die spezifische Aufgabendefinition der Bezirke durch sie tangiert sind2.

  3. Die Verpflichtung der BVV und des BA zur Förderung der Mitwirkung der Einwohnerschaft am kommunalpolitischen und administrativen Geschehen nach Satz 2 ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der durch den Bezirk im Einzelnen auszulegen und zu erfüllen ist. Da die BVV das Kontrollorgan des BA darstellt (ausführlich § 17), unterliegt die Realisierung der einzelnen Maßnahmen des BA, die der Förderung der Mitwirkung und Einbeziehung der Einwohnerinnen und Einwohner bei der Wahrnehmung der bezirklichen Aufgaben dienen soll, der Überprüfung durch die BVV. Diese wiederum ist zwar an Rechts- und VvW gebunden (ausführlich § 12), das BA darf jedoch Beschlüsse der BVV, die im Zusammenhang mit der Umsetzung des Satzes 2 gefasst werden, zumindest dann nicht monieren, wenn sie rechtsmäßig sind. Ob sich die Einwohnerschaft von ihrer gewählten Vertretung gefördert „fühlt“, bleibt letztlich der Entscheidung beim nächsten Urnengang überlassen3.

  4. Die Förderung hat insbesondere durch die Gewährleistung eines Informationsflusses zu erfolgen; mithin ist die Berücksichtigung dieser Grundsatznorm nicht ohne die entsprechende Obliegenheitsregelung (ausführlich § 41) auszugestalten. „Die Unterrichtung der Einwohnerschaft sollte auf geeigneten und kostengünstigen Wegen, insbesondere durch Aushänge und das Internet, erfolgen.“4 Die Mitwirkung der Einwohnerschaft setzt zwar hinreichende Information voraus, ist allerdings keine Einbahnstraße. Die Grundsätze der Selbstverwaltung der Bezirke können nur mit Leben erfüllt werden, wenn sich Einzelne oder Gruppen, die von bezirklichen Entscheidungen betroffen sind, z. B. in Planungsprozesse einmischen und ihre Anliegen und Meinungen artikulieren. Satz 2 ist deshalb gleichzeitig als Aufforderung an die Bevölkerung zu verstehen, sich kommunalpolitisch zu interessieren, zu informieren und zu artikulieren, um an der Gestaltung des Gemeinwesens teilzuhaben.


  1. Michaelis/Krammerbauer in Driehaus, VvB, Art. 66 Rn. 2;Änderung vom 30.09.2020 Zivier, Rz. 88.1. 

  2. Anknüpfungspunkte können sein: Besuch einer Ausbildungsstätte, einer Einrichtung der Jugend-, Sozial-, Gesundheitshilfe, die Mitgliedschaft in einem Verein, der Standort eines Gewerbes, die Durchführung einer privaten Baumaßnahme, Aufgaben des Ordnungsamtes im ruhenden und fließenden Verkehr; darüber hinaus sind bestimmte Verwaltungsaufgaben z. B. durch die ZustVO regionalisiert. Der Wille der Mehrheit des Abgeordnetenhauses wird zumindest aus der Begründung zur Einwohnerfragestunde (ausführlich § 43) erkennbar, das muss offenbar auch für die Förderung der Mitwirkung, die allgemeine Unterrichtung (§ 41) sowie für die Einwohnerversammlung (§ 42) gelten: „Für das Fragerecht in der Einwohnerfragestunde sollen keine formalen Anforderungen an die Begehrenden gestellt werden. Insbesondere soll nicht die Wahlberechtigung im Bezirk Voraussetzung für das Fragerecht sein. Ob Kinder oder nicht volljährige Jugendliche, ob Migrantinnen und Migranten oder Geschäftsleute, die lediglich ihre Firma im Bezirk betreiben - von ihnen allen können Impulse für die bezirkliche Politik ausgehen. Es gilt das Prinzip: Wer ein Anliegen hat, soll es auch vorbringen dürfen.“ (Begründung zu den §§ 40ff des Entwurfs „Mehr Demokratie für Berlinerinnen und Berliner (II), hier: Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes“). 

  3. Nur wenn ein Beschluss der BVV erkennbar gegen diese Rechtsvorschrift verstieße, könnte ihn das BA beanstanden (ausführlich § 18); im Übrigen spielt sich die Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes durch die BVV im politischen Raum ab und beinhaltet insoweit eine große Bandbreite. 

  4. Begründung zu den §§ 40ff des Entwurfs „Mehr Demokratie für Berlinerinnen und Berliner (II), hier: Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes“. 

Ottenberg/Wolf | Praxiskommentar | (30.09.2020)